Die grüne Spargel-Elf.

Heute gibt es das Beste, Gesündeste und Einfachste, was der Frühling kulinarisch zu bieten hat: Elf gegrillte, grüne Spargelstangen in einer Marinade, in die ich mich hineinlegen könnte. Das wäre der beste Halbzeitsnack für die Fußball-Europameisterschaft, die dieser Tage begonnen hätte – wäre nicht dieses Virus in die Quere gekommen. Mangels Live-Spielen sorge ich mich heute über die verloren gegangene Fußballkultur.

„Corona is a Oaschloch!“ Verzeihen Sie diesen Ausdruck, aber ich muss eingangs einfach zitieren, was der Wiener Liedermacher Ernst Molden kürzlich in einem Interview mit der Wochenzeitung Falter kundtat. Irgendwie hat er nämlich schon recht, denn Konzerte sind abgesagt, Festspiele und Theateraufführungen. Und dieser Tage besonders bitter: Auch die Fußball-EM!

Goethe und Maradona
Spätestens bei der WM 1990 in Italien hat mich die Freude am Fußball gepackt. Sie hielt sogar den abschätzigen Kommentaren meines Deutsch-Professors stand, einem etwas selbstgerechten Intellektuellen, der partout nicht einsehen wollte, dass die Welt nicht nur aus Goethe, Hoffmann und Schiller besteht, sondern auch aus Maradona, Butrageno oder Van Basten. Und dass sich Klavierspielen und stundenlanges Ballern auf ein Fußballtor nicht ausschließen. Man kann beides lieben. Das heitere Panini-Album stand damals direkt neben Frühlings Erwachen und half dem Teenager, Wedekinds Tragödie besser zu verdauen. Doch für den Herrn Professor war jeder Fußballfan ein kleiner Hooligan.

Ich atmete auf, als ausgerechnet ein Germanist mit guten Argumenten zur Hilfe eilte. Klaus Zeyringer war es, ein Literaturkritiker aus Graz, der im Standard folgendes über Fußball schrieb: „Der Sport ist enorm faszinierend. Es finden so viele Ballkontakte statt, wie es für die menschliche Aufmerksamkeit günstig ist. Es sind so viele Höhepunkte, wie man brauchen kann. Fußball wird in einem gut einsehbaren Rahmen abgehalten, das ist keine Ruderregattastrecke, sondern ein schönes Stadion. Die Regeln sind einfach, es ist ein mediales Massenphänomen.“

Das Motto dieser Tage: Spargel kauen statt Fußball schauen.

Dabei hat der Fußball seither alles Mögliche probiert, um mich zu vergraulen. Aalglatt und geldgierig ist er geworden, durchkommerzialisiert und austauschbar – fast wie die Fußgängerzonen der Innenstädte mit ihrem Einheitsbrei an Konzern-Filialen. Das waren noch Zeiten, als man sich alle zwei Wochen auf den Mittwochabend freute, um sich ein wirklich spannendes Europacupspiel anzuschauen.

Ein wenig Fußball-Nostalgie
Der Fußballromantiker in mir sehnt sich nach spannenden Hin- und Rückspielen mit faustdicken Überraschungen, in denen auch ein Außenseiter mit einem Auswärtstor einen Favoriten ins Straucheln bringen konnte. Und ich will die unperfekten Stadien mit ihren ursprünglichen Namen zurück. Die waren nicht immer ausverkauft, dafür aber in schummriges Flutlicht getaucht. Meinetwegen auch mit malträtiertem Rasen im Torraum und einer rauchenden Leuchtrakete auf der regennassen Laufbahn.

Alles ist inzwischen so geschniegelt und perfekt. Wo sind die umstrittenen Entscheidungen ohne Videobeweis, über die man tagelang diskutierte? Ich mochte sogar die knarrenden Tonleitungen, mit denen sich schrullige, aber wenigstens leidenschaftliche Reporter wie Peter Elstner, Hans Huber, Rolf Töpperwien oder Gerd Rubenbauer aus fernen Stadien in Minsk, Göteborg oder Neapel meldeten.

Die Spargel-Elf tritt zum Aufwärmen an – in der heißen Grillpfanne.

Auf dem Feld standen Spieler, die noch nicht ihren Starfriseur mit in die Kabine nahmen – dafür genehmigte sich dort manch einer eine Pausen-Zigarette. Die Akteure mussten sich auch noch nicht in Fußballakademien zu marktkonformen Sportprodukten zurechtschnitzen lassen. Daher beantworteten die Legenden der guten, alten Fußballzeit die Fragen der Reporter auch nicht so perfekt, als wären sie messagekontrollierte Klone unseres gut geschulten Bundeskanzlers.

Geht es nur ums Geld?
Von Bewerben wie der Champions League oder sinnlosen Erfindungen wie der Club-WM habe ich mich – zumindest emotional – abgewandt. Was bleibt mir auch anderes übrig ohne Bezahl-Fernsehen? Die Clubs mit ihren Geldgebern aus Katar oder den USA haben ohnedies den Charme einer Investmentbank. Wenigstens steht Bayern-Boss Karlheinz Rummenigge – Otto Waalkes nannte ihn einmal „Rumgenippe“ – dazu. Während der Corona-Krise meint er: „Es geht natürlich am Ende des Tages auch im Profifußball um Finanzen.“ Ja, am Ende des Tages vielleicht. Aber während des gesamten restlichen Tages geht es eben um Spielfreude, den herrlichen Rasen-Geruch, Emotionen und Teamwork!

Der Bogen ist weit überspannt. Das zeigt sich auch jetzt, wenn zur Freude der Wettbüros Geisterspiele durchgepeitscht werden. Doch Corona hat die überbezahlten Fußballstars ein Stück weit unbedeutend gemacht – die Neymars und Ronaldos sind mir jedenfalls lange nicht mehr untergekommen. Ich bin schwer dafür, dass dieser überdrehte Fußballmarkt auf den Boden zurückkehrt. Irgendein Crash musste kommen, um die Dinge wieder gerade zu rücken.

Die Gewinner des Probelokal-Jubiläums erhielten diesen gegrillten Spargel übrigens zur Vorspeise – serviert im Picknick-Glas.

Die Fußball-Liebe bleibt
Doch nun ist Schluss mit diesem Fußballkultur-Pessimismus. Ich liebe den Sport ja immer noch, und die Hoffnung gebe ich nicht auf. Das liegt auch an manchen Persönlichkeiten, die dem durchgestylten Sportprodukt noch eine Spur an Glaubwürdigkeit erhalten. Etwa dem schrulligen Herbert Prohaska, den zwar dem Unterschied zwischen den dritten und vierten Fall nicht bewusst ist (der Deutsch-Professor fühlt sich bestätigt), dem man die Fußballromantik aber abnimmt. Oder an Reportern wie Oliver Welke, Spielern wie Neven Subotic oder Trainern wie Christian Streich oder Ewald Lienen, die auch bei gesellschaftspolitischen Themen eine Meinung vertreten.

Ich bedaure sehr, dass die Europameisterschaft abgesagt ist. Denn die Spiele der Nationalmannschaften finde ich inzwischen viel reizvoller, als den Club-Fußball. Dort können keine Spieler um hunderte Millionen eingekauft werden, dort zählt der Reisepass. Manchmal sogar der Österreichische! Die Trikots sind auch nicht mit Sponsorenlogos vollgepflastert. Das erscheint mir ehrlicher.

Ehrlicher Spargel
Genauso ehrlich, wie das heutige Gericht, das ich vor lauter Fußball fast vergessen hätte. Man könnte es vor dem Spiel wunderbar vorbereiten und dann in der Pausen-Viertelstunde genießen. Mangels Fußball ist es auch ein feines Picknick-Rezept. Ich grille mir nämlich das Lieblingsgemüse dieser Wochen – grünen Spargel. Seine Saison geht bald zu Ende, deshalb ist Eile geboten!

Brechen Sie die grünen Spargelstangen im unteren Viertel ab – Sie werden bald merken, dass es dort eine Sollbruchstelle gibt. Das abgebrochene, untere Stück wird nicht verwendet. Dann werden die Stangen gewaschen, abgetrocknet und in eine heiße Grillpfanne gelegt. Sie brauchen dazu kein Fett, die Stangen kommen in die trockene Pfanne. Dann entwickelt sich bald ein herrlicher Duft und der Spargel beginnt ein wenig zu rauchen.

Wenn dunkle Grillstreifen sichtbar werden, wird der Spargel gewendet.

Nach 2-3 Minuten, wenn auf der Unterseite dunkle Grillstreifen sichtbar werden, wenden Sie ihn. Ist auch die zweite Seite schön gebräunt, darf er ein kühles Bad in einer Marinade aus Olivenöl, viel Zitronensaft, Salz und Pfeffer nehmen. Sie können das Luxus-Gemüse natürlich gleich lauwarm essen. Aber auch abgekühlt schmeckt es ausgezeichnet, etwa beim Picknick oder mit einem Glas kaltem Weißwein auf der Terrasse. Am besten kombiniert mit viel Weißbrot. Denn es bleibt einem gar nicht anderes übrig, als auch den letzten Tropfen der würzigen Marinade aufzutunken.  

Die Musik zum Spargel
Eingangs schrieb ich einen wüsten Satz von Ernst Molden, dem Wiener Liedermacher. Und mit ihm endet auch diese Fußballgeschichte. Molden hat vor wenigen Tagen gemeinsam mit der Schauspielerin und Sängerin Ursula Strauß ein neues Album namens „Wüdnis“ vorgestellt. Anfang März spielten die beiden noch in der Hamburger Elbphilharmonie. Dort sangen sie ihre Version des Wienerlieder-Klassikers: „Oh du lieber Augustin – alles ist hin.“ Sie ahnten es – nur zwei Wochen später kam der Corona-Lockdown.

Zutaten für 1 Fußballromantiker:
11 grüne Spargelstangen, 6 Esslöffel Olivenöl, 3 Esslöffel Zitronensaft, Salz, grob geschroteten Pfeffer und frisches Weißbrot – sonst nichts! Außer vielleicht ein Glas mit südsteirischem Weißwein.

Musik:
Album „Wüdnis“ von Ernst Molden und Ursula Strauß aus dem Jahr 2020, Badermoldenrecords

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Post Author: Dan

One Reply to “Gegrillter Spargel in Zitronen-Marinade”

  1. Lieber Daniel
    Deine Hymne für den Fußball, macht mir, ein bis jetzt unverstandenes Phänomen symphatisch klar.
    Mögen die „Baller“, die den Boden verloren haben wieder auf ihn kommen und die Grünen Spargel aus ihm, Liebe Grüße Inge

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