Spicy Joe macht froh.

Ach, du liebes Chili! Dieses amerikanische Wohlfühlgericht wärmt an den frischen Übergangstagen zwischen Winter und Frühling. Im Schmortopf stecken nicht nur scharfe Gewürze, sondern – dank versöhnlicher Töne aus dem Weißen Haus – auch eine Prise Hoffnung auf bessere Zeiten überm Ozean.

Ich stehe noch unter dem Eindruck der Amtseinführung von Joe Biden und Kamala Harris. Klar, das amerikanische Pathos ist dem nüchternen Europäer etwas fremd, aber diese Zeremonie hat selbst mich bewegt. Dort am Kapitol, wo noch Wochen zuvor manch Grusel-Clown sein Unwesen trieb, war wieder so etwas wie demokratische Würde spürbar. Ein kultivierter Umgang, der offenbar längst nicht mehr normal ist.

Als „Sleepy Joe“, schläfrigen Joe, verunglimpfte der zornige Vorgänger den neuen US-Präsidenten. Doch abgesehen davon, dass mir besonnene Persönlichkeiten an politischen Schalthebeln lieber sind, als übermotivierte Eiferer, hat Biden in den ersten Wochen seiner Amtszeit gezeigt, dass er durchaus zum „Spicy Joe“ werden könnte.

Spicy und sleepy Chili
Deshalb empfehle ich heute meine Lieblingsversion eines amerikanischen Nationalgerichtes – ein Chili con carne, das gleichzeitig spicy und sleepy ist. Es braucht nämlich beides, die feine Schärfe der Gewürze und die Langmut beim Schmoren im Ofen. Dann wird daraus ein Leibgericht zum Wohlfühlen.

Maiskörner im Chili sind umstritten – aber für mich gehören sie dazu. Vorausgesetzt, sie stammen nicht aus der Dose.

Um die Herkunft des Chilis ranken sich Mythen. Und über die richtigen Zutaten wird mitunter heiß diskutiert. Fast so, als ginge es ums Impfen oder die ominöse Maske. Für Chili-Puristen ist es etwa ein No-Go, Maiskörner in den Eintopf zu streuen. Manche schwören hingegen auf die Zugabe von Bitterschokolade, Kaffee oder Orangensaft.

Und auf Festen in der Prä-Corona-Zeit musste der Autor dieser Zeilen zum Mitternachtssnack auch schon Chilis mit heftiger Glutamat-Note erdulden, die schmeckten, wie Gulaschsuppe aus der Dose. Nur gestreckt mit üblem Mais und matschigen Bohnen.

Übung macht den Meister
Ich habe mir in den letzten Monaten dutzende Male ein Chili geschmort. Es ist nämlich leicht zuzubereiten und schmeckt am Folgetag noch besser, als frisch gekocht. Und irgendwie mag es jeder. Deshalb empfehle ich Ihnen heute die Version, die mich und meine Gäste am meisten überzeugt hat.

Kann sein, dass sich die Gründerväter dieses Eintopfes, vielleicht Cowboys aus Texas, die vor vielen Jahren ihr Chili über dem Lagerfeuer schmoren ließen, deshalb im Grab umdrehen. Sei’s drum. Richtig und falsch gibt’s vielleicht bei der Millionenshow, aber nicht beim Kochen. Gut ist, was schmeckt.

Zuerst wird das Gemüse kurz und klein geschnitten: Paprika, Knoblauch und Zwiebel. Eine gute Konzentrationsübung für Kinder im Homeschooling!

Fünf Tipps fürs gute Chili
Fünf Erkenntnisse aus meiner Chili-Lehrzeit lege ich Ihnen besonders ans Herz – erstens: Ich verwende kein Hackfleisch unbekannter Provenienz, keine „Katz‘ im Sack“, sondern schneide kleine Würfel aus einem Stück gutem Rindfleisch, das sich zum Schmoren eignet. Zweitens: Ich lösche das Gebrutzel mit einem kräftigen Schuss Rotwein ab. Drittens schmore ich den Eintopf bei geringer Temperatur ganz langsam im Ofen.

Viertens: Ich verwende im Sommer frische und im Winter tiefgekühlte Maiskörner, die gleich nach der Ernte eingefroren werden. Sie sind im Nu aufgetaut und schmecken um Längen besser, als deren ausgemergelte Verwandte aus der Dose. Und schließlich fünftens: Die Gewürze. Gemahlener Kreuzkümmel und geräuchertes Paprikapulver sowie eine ausgewogenes Verhältnis aus Süße (Ahornsirup!) und Säure (Zitronensaft!) sorgen für ein ausgewogenes Geschmackserlebnis.

Legen wir los, in dem wir Zwiebeln, Knoblauch und Paprika klein würfeln und zunächst beiseite stellen. Das Rindfleisch wird in etwa 1 cm große Stücke geschnitten und im ofentauglichen Schmortopf unter zwei Portionen in heißem Öl angebraten und herausgenommen.

Statt Hackfleisch verwende ich stets kleine Würfel oder Streifen vom Rind, das artgerecht aufgewachsen sein sollte. Florian hilft gerne beim Schneiden und Schmoren.

Im Bratensatz wird nun das gewürfelte Gemüse angebraten und das Tomatenmark und der Ahornsirup untergerührt, bevor die Gewürze eingestreut werden. Wenige Sekunden später kommt unter kräftigem Zischen der Rotwein dazu. Ist der edle Tropfen eingekocht, kommt das Fleisch wieder in den Topf, dann die Suppe und die passierten Tomaten.

Beginnt die Mischung wieder zu köcheln, kommt der Deckel drauf. Abgedeckt schmort das Chili nun bei 110 Grad Umluft im Ofen. Und zwar für mindestens 2, besser noch 3 Stunden. Da kann nichts anbrennen und die Wärme des Ofens gelangt von allen Seiten in den Topf. Schonender und schmackhafter kann ein Eintopf nicht werden.

Musikalische Wartezeit
Um die Wartezeit bestmöglich zu nützen, widmen Sie sich nun der Musik. Passend zum amerikanischen Eintopf empfehle ich, die Inauguration auf musikalische Weise Revue passieren zu lassen. Denn die Beiträge der US-Popszene jagten mir die Gänsehaut über den Rücken. Allein schon, wie die bisher von mir völlig zu Unrecht unterschätzte Lady Gaga die Hymne schmetterte, hat mich tief berührt. Lady Gaga – im bürgerlichen Namen Stefani Germanotta – verortete ich zuvor nur beim seichten Kaugummi-Pop im Jugendzimmer. Weit gefehlt – was für eine Stimme und Präsenz!

Viel Pathos schwang auch beim Hit „Firework“ von Katy Perry mit. Bruce Springsteen sang in der kalten Winternacht vor den Augen der Lincoln-Statue das Lied „Land Of Hope And Dreams“ – und zwar mit akkuratem Haarschnitt und akustischer Gitarre.

Und mein Höhepunkt war der Auftritt der Foo Fighters, die ihren Klassiker „Times Like These“ der First Lady Jill Biden und allen ihren Lehrerkolleg/innen des Landes widmeten. Bei dieser Version müssen Sie exakt 3:23 Minuten durchhalten, bis die Band wie gewohnt explodiert. Daraufhin habe ich mir gleich das neue Album „Medicine At Midnight“ zugelegt, das mich diesen Frühling energisch aus dem winterlichen Corona-Mood holen wird.

Das sind übrigens noch die Gewürze, die in den Topf dürfen: Gemahlener Kreuzkümmel, geräuchertes und süßes Paprikapulver sowie ein kleiner Berg mit getrockneten Gartenkräutern vom letzten Sommer.

Die Verfeinerung des Chili
Die Zeit vergeht dank der Musik wie im Flug, das Chili darf aus dem Ofen. Zur Abrundung kommen nun Mais und Bohnen dazu, die die verbleibende Eintopfhitze in wenigen Minuten annehmen. Es wird gesalzen, gepfeffert, dazu kommt noch ein mutiger Spritzer Zitronensaft und vielleicht noch etwas geräuchertes Paprikapulver. Für Schärfe sorge ich erst zum Schluss, um Kindern oder hitzeempfindlichen Menschen das Essen nicht zu verderben. Allen anderen streue ich noch fein gehackte Chiliwürfel und Cayennepfeffer ein. Dann wird gegessen.

Übrigens erwarte ich mir nicht, dass ein neues Führungsduo in den USA ausreicht, um die westliche Welt wieder zu stabilisieren und weiter zu entwickeln. Diese Aufgabe können auch Joe Biden und Kamala Harris nicht schultern. Aber immerhin werden wieder andere Töne angeschlagen und erste zukunftsträchtige Entscheidungen gefällt. Das ist ein Anfang.

Zutaten:
Je 200 Gramm Zwiebeln und rote Paprika, 2 Knoblauchzehen, 500 Gramm Rindfleisch zum Schmoren, etwas Pflanzenöl, je ein gehäufter Teelöffel gemahlener Kreuzkümmel, süßes und geräuchertes Paprikapulver und nach Belieben getrocknete Kräuter, 50 Gramm Tomatenmark, 2 Esslöffel Ahornsirup, 150 Milliliter Rotwein, 500 Gramm passierte Tomaten, 250 Milliliter klare Suppe, 200 Gramm Mais, 200 Gramm rote Bohnen, Salz, Pfeffer, Cayenne-Pfeffer und/oder Chilischote, etwas Zitronensaft

Musiktipp:
Album „Medicine At Midnight“ von den Foo Fighters aus dem Jahr 2021, Label RCA Roswell

Post Author: Dan

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