Ein Traum von 2022.

Alle Jahre wieder! Da ist er wieder, der vorweihnachtliche Frohlockdown. Einmal mehr muss also der Corona-Blues kulinarisch verarbeitet werden. Und zwar mit Roter Bete und Kren. Die beiden sind das winterliche Dreamteam in meiner Küche. Sie verleiten mich sogar zum Träumen: Von einem wundersamen Jahr 2022.

Saisonal, regional und preiswert: Rote Bete und Kren sind die Stars im Dezember. Nicht nur aufgrund des Geschmacks. Erst die Farben – eine Wucht! Aber Vorsicht: Das kräftige Rot der Schupfnudeln, das winterliche Weiß der Kren-Sauce und die grünen Tupfer des Pestos können bei näherer Betrachtung zu leicht euphorisierenden Nebenwirkungen führen. Tagträume sind dabei nicht ausgeschlossen.

Mir ist es kürzlich so ergangen, und davon muss ich Ihnen heute etwas ausführlicher erzählen. Stellen Sie sich einfach vor, es ist Dezember 2022 – blicken wir doch gemeinsam zurück auf die vergangenen Monate. Ein wundersames Jahr liegt hinter uns. Wer hätte das gedacht!

Erst vor wenigen Tagen hat die österreichische Nationalmannschaft ihr Auftaktspiel der Fußball-WM in Katar gewonnen. David Alaba erzielte in der Nachspielzeit das glückliche, aber nicht unverdiente 1:0 gegen Deutschland. Ein weiterer emotionaler Höhepunkt in einem Jahr, das Österreich nachhaltig verändern sollte.

Die Pandemie hat sich inzwischen auf überschaubare Inzidenzen unter der 20er Marke eingependelt, selbst die aus Kirgisien eingeschleppte Ypsilon-Variante hat sich – gerade noch rechtzeitig, bevor das griechische Alphabet mit dem Latein am Ende gewesen wäre – als unbedenklich erwiesen.

Vorsicht – die Wirkung der Farben ist nicht zu unterschätzen!

Wie konnte das geschehen?
Das ins Wanken geratene Österreich mit seinen damals aufgehetzten Menschen dies- und jenseits des Impf-Äquators hat eine erstaunliche Wendung hingelegt. Die Krise wurde als Chance genutzt. Was vor einem Jahr undenkbar schien, ist eingetreten. Nicht nur beim Fußball. Wie konnte das geschehen?

Nun, schon Anfang 2022 zeichnete sich ab, dass die Menschen genug vom dauernden Spaltungs-Gerede hatten. Schließlich gab es niemals nur zwei Lager in der Bevölkerung. Es gab nicht nur schwarz und weiß – sondern ganz viele Grautöne dazwischen. Und endlich haben sie die Initiative ergriffen, die verantwortungsbewussten Menschen in der großen Mitte der Gesellschaft.

Man rückt zusammen
Diese konstruktive Mehrheit, die lange ruhig geblieben ist zwischen dem Geschrei der Extreme. Menschen, die weder mit dem Verharmlosen der Pandemie noch mit überzogener Angstmache etwas anfangen konnten. Sie haben sich in nie geahntem Ausmaß engagiert, den Dialog gesucht und zwischen den verhärteten Fronten in Familien, Vereinen und Arbeitsplätzen vermittelt. Unterstützt wurden sie dabei von Kirchen, Feuerwehren und Blasmusikvereinen, die ihre gesellschaftliche Bedeutung wieder entdeckt haben.

Überrascht vom Verantwortungsbewusstsein und der Dialogfähigkeit der Bürger trauten sich dann auch erste Politiker, manchen Irrtum zu benennen. Sogar in hohen Regierungskreisen wird eingestanden, dass das Corona-Management mitunter unentschlossen war, dass nicht adäquat kommuniziert wurde und bei der Licht-ins-Dunkel-Gala besser nicht geklatscht und getanzt worden wäre. Langsam scheint das Vertrauen in die Bundespolitik zurück zu kehren.

Die Regierungs-Kommunikation und das unverantwortliche Hetzen der Rechtsaußen-Opposition wurden im „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßlicher Versäumnisse der Regierungs- und Oppositionsparteien in der Corona-Krise“ aufgearbeitet. Die bemerkenswert kritische Auseinandersetzung mit seiner jüngsten Geschichte hat Österreich im Ländervergleich des Korruptions-Wahrnehmungs-Indexes von „Transparency International“ zu Dänemark, Neuseeland und Finnland aufschließen lassen.

Die Impfung konnte ihre überzogenen Erwartungen zwar nicht ganz erfüllen, trug letztlich aber dazu bei, Ansteckungen einzudämmen und Krankheitsverläufe milde zu gestalten. Viele Hardliner unter den Skeptikern sind dank ihrer unzähligen Aufrufe, doch endlich aufzuwachen, selbst aufgewacht und durften erfahren, dass keine Weltverschwörung hinter der Pandemie steckte. Sondern dass die Einschränkungen – so fragwürdig sie manchmal auch waren – tatsächlich die Beendigung der Pandemie zum Ziel hatten.

Nur Mut: Für dieses Rezept muss man sich die Hände richtig schmutzig machen.

Meinungen werden ernst genommen
Besorgte Menschen, denen die Maßnahmen damals zu weit gingen und die Impfung suspekt war, werden endlich ernst genommen. Wohl auch, weil sie sich mittlerweile von den Verschwörungstheoretikern und Staatsfeinden losgesagt haben. Sie haben erkannt, dass nicht alle Mit-Demonstranten um Lösungen in der Pandemie bemüht sind, sondern die Anspannung nutzen, um ihren Wohlstands-Frust loszuwerden und einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Diese Distanzierung nahm den Wind aus den Segeln der Extremisten. Ein Nazi ist nun einfach wieder ein Nazi – und nicht ein Maßnahmengegner, der sich um Freiheit, Demokratie und Minderheitenrechte sorgt.

Rechtspopulisten aus der Fundamental-Opposition müssen inzwischen wieder nach Flüchtlingskrisen Ausschau halten, um die Stimmung anzuheizen. Einer der Rädelsführer tut dies zurück gezogen auf einem Gestüt, wo er ein halbes Dutzend brauner Hannoveraner zu Polizeipferden dressieren will. Dass diese mangels verfügbarer Entwurmungsmittel unter Unwohlsein leiden, lässt ihn zu einem Rundumschlag gegen die Machenschaften der Pharma-Industrie ausholen, der von der Öffentlichkeit jedoch weitgehend unbemerkt bleibt.  

Damit nicht genug: Viele sogenannte Querdenker versammeln sich plötzlich zu friedlichen Kundgebungen, um auf den Klimawandel hinzuweisen, unmenschliche Bedingungen in Flüchtlingslagern anzuprangern, die Steuervermeidung der Online-Konzerne zu kritisieren und ein neues Medienförderungsgesetz zu fordern. Vernunft breitet sich aus.

Das wirkt sich auf die öffentliche Stimmung aus. Auf den Marktplätzen betonen vormalige Impfgegner und Impf-Drängler ihre wieder entdeckten Gemeinsamkeiten. Die scharfen Worte auf Transparenten sind augenzwinkernden Botschaften gewichen, über die sich beide Seiten wieder amüsieren können: Zu lesen ist etwa „Ob mit oder ohne Spritze – Österreich ist wieder spitze“, oder „Warat er noch lebendig, der Kaiser, nahmat er Biontech Pfizer“. Ein Wiener hält sogar eine Tafel mit „Spritz rein statt Spritzwein“ in die Höhe.

Der regionale Handel blüht
Die selbstbewusst gewordenen Österreicher zeigen jetzt auch steuervermeidenden Konzernen die Zähne: Facebook musste bereits die wütenden und zynisch-grinsenden Smileys von seiner Seite verbannen, hetzerisch-boshafte Kommentare werden durch den neuen rot-weiß-roten Nutzer-Rat ausgeschlossen. Amazon kämpft in der Alpenrepublik mit signifikanten Umsatzrückgängen, da die Bevölkerung den Wert des regionalen Einzelhandels erkannt hat. Vor allem die Buchgeschäfte freuen sich über regen Zulauf.

Auch in Gasthäusern, in denen das Personal endlich ordentlich behandelt und angemessen bezahlt wird, ist das Leben längst zurückgekehrt. Die Gäste essen, trinken und führen wieder leidenschaftliche Diskussionen, bis gemeinsam auf das Leben angestoßen wird.

Langsam werden aus dem rot gefärbten Kartoffelteig kleine Schupfnudeln.

Die besondere Stille der Lockdowns (Anm.: so wurde damals das Herunterfahren des öffentlichen Lebens zur Kontaktreduktion genannt) hat die Städte animiert, das alkoholgeschwängerte Partygeschehen auf Christkindlmärkten ein wenig einzuschränken und in ihren Aktivitäten die tiefere Bedeutung des Advents zu betonen. In manchen Gegenden verzichteten Supermärkte darauf, bereits im August Lebkuchen und Spekulatius ins Sortiment aufzunehmen. Sogar „Last Christmas“ soll heuer erst im Dezember gespielt werden. Und „Stille Nacht“ erst am Heiligen Abend.

Freude herrscht auch bei den Landwirten. Wissenschafts-Skeptiker haben im Zuge ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem Zuführen von Substanzen entdeckt, dass jahrzehntelang freiwillig eingenommene Energydrinks, Zigaretten und Fertigpizzen die körperliche Unversehrtheit stärker gefährden, als eine Spritze. Daraufhin haben viele ihre Ernährung umgestellt. Regionale Landwirtschaft boomt, saisonales Bio-Gemüse und Fleisch aus artgerechter Tierhaltung wird zu angemessenen Preisen verkauft. Das kleine österreichische Wirtschaftswunder macht es möglich.

Fast wie beim Wein
Kommentatoren von ORF über Servus TV bis hin zu Puls4 sind sich über die Parallelen zum Glykol-Weinskandal der 80er Jahre einig. Österreichische Winzer panschten damals den Wein, bis der Betrug aufflog und der Weinexport aus Österreich fast zum Erliegen kam – eine Zäsur, die den Weg zur Erneuerung erst freimachte: Österreich hat inzwischen nicht nur herausragende Weine.

Auch im transparenten Umgang und im Verhalten der Parlamentsparteien wurden nach dem Tiefpunkt Ende 2021 nun neue Maßstäbe gesetzt. Das Selbstvertrauen und die Weltgewandtheit Österreichs haben einen großen Schritt gemacht. Wir sind wieder wer. Diesmal tun wir aber nicht nur so.

Und Erfreuliches gibt es letztlich auch aus dem Probelokal zu vermelden. Nach mehreren Fehlversuchen ist mir endlich das Rezept für optimalen Kartoffelteig gelungen. Den veredle ich zu Schupfnudeln, Knödel oder Gnocchi. Noch im Dezember 2021 zerfiel der Teig beim Kochen. Doch unter Berücksichtigung des Probelokal-Mottos „Probieren geht über Studieren“ habe ich es nun endlich geschafft. So geht es:

Endlich zurück in der Küche
Bei 180 Grad Umluft werden die Kartoffeln im Ofen gebacken – bis sie richtig weich sind, dauert es eine gute Dreiviertelstunde. Inzwischen lassen Sie den Rote-Bete-Saft in einem Töpfchen einköcheln, bis nur noch konzentrierte 100 Milliliter übrig sind.

Die Kartoffeln werden geschält und mit der Kartoffelpresse in eine Schüssel gedrückt. Dazu kommen Mehl, Eigelb, Gewürze und der eingekochte Saft, ehe die Mischung rasch durchgeknetet wird. Herrlich, wie gruselig Ihre Hände dabei aussehen werden!

Wenn die Mischung ausgekühlt ist, nehmen Sie kleine Stücke vom Teig ab und rollen diese auf einer bemehlten Arbeitsfläche zu dünnen Würsten aus. Mit einem Messer schneiden Sie kleine Stücke ab, die Sie zwischen Ihren Handflächen zu niedlichen Schupfnudeln wuzzeln. Diese werden auf einem mit Backpapier ausgelegten, bemehlten Blech gekühlt gelagert.

Bei leicht siedendem, gesalzenen Wasser werden die Schupfnudeln nun in einem großen Topf gegart, bis sie an die Oberfläche steigen. Nach einer Minute heben Sie die Nudeln mit der Schaumkelle heraus. Nach dem Abtropfen werden die roten Würstchen in einer Schüssel zwischengelagert.

Für die Sauce zerlassen Sie die Butter in einer Pfanne, um die würfelig geschnittene Zwiebel darin anzuschwitzen. Darüber kommt das Mehl, dann wird umgerührt und mit Wermut abgelöscht, der um die Hälfte eingekocht wird. Gießen Sie die Suppe dazu und lassen Sie die Mischung noch ein paar Minuten leicht köcheln. Dann wird mit Salz und Pfeffer gewürzt, mit Rahm aufgegossen.

Wenn die Mischung wieder aufkocht, schieben Sie den Topf von der Herdplatte. Reiben Sie den Kren in die Sauce, mixen und sieben Sie die Sauce. Dann können Sie die geparkten Schupfnudeln in einer beschichteten Pfanne mit etwas Butter anbraten und sie mit Sauce, noch etwas frisch geriebenem Kren und – damit das weihnachtliche Farbenspiel komplett ist – mit etwas grünem Pesto servieren.

Unaufgeregte Weihnachtsmusik
Jedes Jahr blicke ich gespannt auf die Neuveröffentlichungen von Weihnachtsalben. Mir fällt auf, dass darauf meist dieselben Lieder enthalten sind. Wo bleiben die neuen Hits, die das Erbe von „Last Christmas“ antreten? Auch Norah Jones setzt auf ihrem Album „I Dream Of Christmas“ vorwiegend auf Klassiker.

Vielleicht ist das momentan aber auch gut so. Denn die New Yorkerin überfordert uns nach dieser zähen Zeit nicht auch noch unnötig. Sondern verwöhnt mit Liedern wie Christmas Calling, zu denen man sich einfach in Ruhe in die Couch fallen lassen will. Um von einem besseren Jahr 2022 zu träumen.

Manche Träume werden schließlich wahr. Wobei: Dass die österreichische Nationalmannschaft überhaupt noch die Qualifikation zur WM schafft, ist wirklich schwer zu glauben. Aber sonst – wer weiß? Wir gehen, wohin wir schauen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dezember und eine Portion Zuversicht.

Zutaten:
Schupfnudeln: 500 Gramm mehligkochende Kartoffeln, 250 Milliliter Rote-Bete-Saft (gibt’s im Supermarkt), 150 Gramm Mehl für den Teig (und nochmals 50 Gramm zum Arbeiten), 1 Eigelb, Prise gemahlener Kümmel und geriebene Muskatnuss, Salz und Pfeffer, etwas Butter zum Anbraten

Sauce: 20 Gramm Butter, 1 kleine Zwiebel (ca. 50 Gramm), 20 Gramm Mehl, 150 Milliliter Wermut (zB Noilly Prat), 200 Milliliter klare Suppe, 150 Milliliter Rahm, 50 Gramm Kren, Salz, Pfeffer, etwas Pesto und frisch geriebenen Kren zum Servieren

Musik:
Album „I Dream Of Christmas“ von Norah Jones aus dem Jahr 2021, Label Blue Note

Post Author: Dan

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