Ein absolutes Mousse.

Ein Gönnungsprodukt für den krisengebeutelten Genießer

Wissen Sie, was ein „Gönnungsprodukt“ ist? So bezeichnet Enes Seker, Gründer der Kette „Royal Donuts“, seine kunterbunten Kalorienbomben. Ich wundere mich schon eine Weile über den aktuellen Donut-Hype. Warum stehen so viele Leute Schlange für die schrillen, überzuckerten, in Fett gebackenen Teig-Kringel? 

Es könnte der Zeitgeist sein. Vielleicht brauchen die Menschen gerade in Krisenzeiten diese kleinen Alltags-Exzesse. Kurze Glücksmomente in einer angespannten Lebensphase. Offenbar erfreuen sich auch Schlagerklänge, aufwändig dekorierte Fingernägel oder esoterische Glückssprays Beliebtheit. Jedem das Seine.

Meine saisonalen Favoriten in der Riege der Gönnungsprodukte sind Erdbeeren und weiße Schokolade. Erdbeeren gehören zum Mai, wie die Brücke am Kwai. Die Flosse zum Hai. Oder die Kunst zu Ai Weiwei. Und in Kombination mit weißer Schokolade entsteht das Vorzüglichste, was der Wonnemonat zu bieten hat.

Dreischicht-Betrieb
Ich schichte mir gerne drei köstliche Massen übereinander: Fruchtiges Erdbeer-Gelee, ein sahniges Erdbeer-Mousse und zu guter Letzt eine Crème aus weißer Schokolade. Wenn ich dann den Löffel voller Vorfreude ins Glas tauche, verbindet sich eine Mischung aus drei feinen Crèmes.

Auf diese dreischichtigen Gläser dürfen Sie sich freuen.

Das ist auch eine Reminiszenz an die kleinen Cremissimo-Eisbecher, die ich mir als Kind manchmal aus der Eistruhe angelte. 9 Schillinge musste ich mir dafür zusammen kratzen. Damals war das Erdbeer-Vanille-Eis von einem tiefroten Rand aus Erdbeermark umgeben. Es gehörte zum sommerlichen Ritual, mit dem beigelegten Eislöffel zuerst das Mark herauszustechen und erst im Anschluss die inzwischen weich gewordene Mitte zu löffeln. Inzwischen ist das Erdbeermark längst aus dem Becher verschwunden, womöglich haben die Unilever-Bosse das Fruchtmark wegrationalisiert. Dann muss man solche feinen Sachen eben selber machen!

Tassen im Schrank lassen
Die drei Schichten schmecken übrigens nicht nur vorzüglich. Sie sehen auch zauberhaft aus. Bedingung dafür ist natürlich, dass Sie die drei Schichten in Gläser abfüllen. Egal also, falls auch Sie manchmal nicht alle Tassen im Schrank haben sollten – Sie brauchen für dieses Dessert ausschließlich Gläser. Am besten sechs bis acht verschiedene Exemplare.

Ich beginne mit der Zubereitung gerne schon ein oder zwei Tage vor dem Servieren. Zuerst stelle ich das Erdbeer-Gelee her. Dazu weiche ich die Gelatine in kaltem Wasser ein, wasche die Erdbeeren, entferne deren Stile, schneide sie klein und köchle sie mit Zucker und einem kräftigen Schuss Moscato ein paar Minuten weich. Beim Zuschauen darf man sich natürlich einen Schluck des übrigen Moscatos, einem süßen Schaumwein aus dem Piemont, genehmigen.

Sind die Erdbeeren weich, stelle ich ein feines Sieb auf eine Schüssel und drücke die Früchte mit einem Löffel durch. Die ausgedrückte Gelatine löse ich in erwärmtem Likör auf und rühre die Mischung zum Erdbeersaft in die Schüssel. Dann rühre ich kräftig durch und verteile die Flüssigkeit in die vorbereiteten Gläser. Im Kühlschrank wird das Gelee dann nach zwei, drei Stunden fest. Gerne auch über Nacht!

Das Gelee wird in den Gläsern fest – zu den Eisheiligen auf der Terrasse oder sonst im Kühlschrank.

Eine Masse mit Klasse
Dann widme ich mich der sahnig-fruchtigen Erdbeer-Mousse. Dazu weiche ich wieder die Gelatine in kaltem Wasser ein. Den Rahm schlage ich steif. Nun sind wieder die Erdbeeren an der Reihe – und wieder wird gewaschen, entstielt und klein geschnitten. Nur werden sie an dieser Stelle nicht gekocht, sondern roh mit Zucker und Vanillezucker püriert und durch ein Sieb gedrückt.

Wie beim Gelee wird nun auch die ausgedrückte Gelatine im erwärmten Orangenlikör aufgelöst (statt im Likör können Sie die Gelatine auch in ein paar Löffeln nicht geschlagenem, erwärmtem Rahm auflösen). Dann rühren Sie die Flüssigkeit ins Erdbeermark und heben den geschlagenen Rahm mit dem Schneebesen unter. Eine festliche Zeremonie! Die Mousse schichten Sie nun auf das inzwischen fest gewordene Erdbeer-Gelee in die Gläser. Und die gehören nun wieder in den Kühlschrank.

Vom Hasen zur Mousse
Zur Krönung rühren Sie sich nun noch die weiße Schokolade-Mousse. Einige Vorgänge kennen Sie bereits: Die Gelatine wird in kaltem Wasser eingeweicht, der Rahm steif geschlagen. Nun brauchen Sie die weiße Schokolade. Falls noch weiße Schokolade-Osterhasen bei Ihnen herumstehen, sollten diese nun an die Schlachtbank geführt werden. Hacken Sie die Schokolade in grobe Stücke, die sie in einem Gefäß im Wasserbad unter Rühren schmelzen und zur Seite stellen.

Über demselben Wasser-Topf schlagen Sie in einem Rührkessel Ei und Eigelb mit Vanillezucker und Zucker schaumig. Im erwärmten Likör (oder wieder in etwas Rahm) lösen Sie nun die ausgedrückte Gelatine auf. Die Flüssigkeit rühren Sie mit der geschmolzenen Schokolade in die Ei-Mischung. Dann wird der Rahm untergehoben.

Hier werden die Zutaten für die weiße Mousse zusammen gerührt.

Sie werden nun nicht widerstehen können und einen Löffel zum Probieren in die Masse tauchen. Das schmeckt schon jetzt fantastisch! Aber Geduld: Die Crème kommt nun als dritte Schicht auf das Erdbeer-Mousse und nochmals zwei Stunden in den Kühlschrank.

Vorsicht bei Vollmond
Die Zubereitung macht Spaß und gelingt meistens auch. Doch Vorsicht: Es gibt Tage, an denen einfach alles schief geht. Mir ist es beim ersten Ausprobieren dieses Desserts so ergangen. Ohnedies mäßig gelaunt, gab die Nachrichtenlage Anlass zur Sorge. Außerdem ärgerte ich mich über Menschen, die – eingelullt von Putins Propaganda – von Corona-Leugnern zu Angriffskrieg-Verstehern mutiert sind. Zu allem Überfluss hing auch noch der Vollmond in seiner vollen Pracht über dem Probelokal.

Dabei rutschte mir ein geöffneter Becher Rahm von der Hand auf den Teppichboden und eine teuer erkaufte Schale Bio-Erdbeeren faulte bereits im Kühlschrank vor sich hin. In solchen Momenten würde man am liebsten einen Topf voller Mousse durch die Küche pfeffern und die Mixstäbe aus dem Fenster werfen. Es war auch der falsche Zeitpunkt für Experimente: Ich versuchte mich nämlich am pflanzlichen Geliermittel Agar Agar anstatt an klassischer Gelatine. Es ging schief, ich werde zum Wohle meiner veganen Gäste aber weiter üben.

Der Sound zur Zeit
Zur Verarbeitung kulinarischer Pleiten braucht es Musik. Der Sound zu dieser angespannten Zeit stammt von „Stromae“. Mit dem Album „Multitude“ verarbeitet der belgische Musiker, Produzent und Modedesigner seine Vergangenheit, die von Angstzuständen und Panikattacken geprägt war. Der Song „L’enfer“ („Die Hölle“) ist auch eine Hommage an die vielen Menschen, denen Pandemie und Kriegssorgen psychisch zu schaffen machen.

Es braucht also dringend ein Gönnungsprodukt. Ich dekoriere das Dessertglas noch mit gehackter Pistazie oder vielleicht noch mit ein paar fein geschnittenen Erdbeeren. Dann wird gönnerhaft serviert.

Aussagekräftige Musik und ein Glas voller Erdbeer-Gelee, Erdbeer-Mousse und weißer Schokolade-Mousse sind ein Gedicht. Schicht für Schicht. Oder etwa nicht?

Zutaten für 6 bis 8 Dessertgläser:
Erdbeer-Gelee: 300 Gramm Erdbeeren, 1 Esslöffel Vanillezucker, 30 Milliliter Moscato d’Asti, 2 Blatt Gelatine, 2 Esslöffel Orangenlikör
Erdbeer-Mousse: 300 Gramm Erdbeeren, 80 Gramm Zucker, 1 Teelöffel Vanillezucker, 3 Blatt Gelatine, 250 Milliliter Rahm, 2 Esslöffel Orangenlikör
Weißes Schokolade-Mousse: 170 Gramm weiße Schokolade, 1 Ei, 1 Eigelb, 20 Gramm Zucker, 1 Teelöffel Vanillezucker, 250 Milliliter Rahm, 2 Blatt Gelatine, 2 Esslöffel Orangenlikör; zum Dekorieren ein paar gehackte Pistazienkerne oder fein geschnittene Erdbeeren

Musik:
Album „Multitude“ von Stromae aus dem Jahr 2022, Label Mosaert Polydor

Post Author: Dan

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

You may also like

Hereinspaziert und ausprobiert

Willkommen in Dan’s Probelokal!
Auf dem Menüplan dieses Online-Lokals stehen stets frische Rezeptgeschichten. Als Beilage gibt es musikalische Entdeckungen und kritische Blicke auf unsere Gesellschaft.

Newsletter-Anmeldung
Wer sich für den Newsletter anmeldet, bekommt die Rezeptgeschichten immer vorab, frisch und heiß serviert. Senden Sie einfach eine E-Mail mit Betreff „Newsletter“ an dan@probelokal.com. Ihre Adresse wird natürlich nicht weitergegeben. Bis bald!

Folgen Sie Dan’s Probelokal

In Arbeit

Wermutstropfen

Der Verbrauch von Wermut im Probelokal ist erstaunlich hoch. Das liegt daran, dass der mit Gewürzen und Kräutern verfeinerte Weißwein (zB aus dem Hause Noilly Prat) fixer Bestandteil von Saucen und Risotto ist. Auch als Aperitif ist er nicht zu verachten. Unlängst habe ich ein großes Einmachglas mit südsteirischem Weißwein, etwas Weinbrand, frischem Wermut-Kraut und einigen Gewürzen angesetzt. Schon in wenigen Wochen werde ich ein paar kleine Flaschen mit hausgemachten Wermut abfüllen. Die Vorfreude ist groß!

Politisches Essen

Der Maissalat im Probelokal zeigt Flagge. Für ein friedliches Europa!

Zweite Wahl

Im Probelokal werden viele Rezepte ausprobiert. Doch nicht aus jedem wird eine eigene Geschichte, weil schlicht die Zeit dazu fehlt. Deshalb sehen Sie hier wechselnde Gerichte zweiter Wahl.

Falls ich Ihnen ein Rezept dieser Spalte senden soll, dann schreiben Sie mir: dan@probelokal.com. Und wenn Sie wollen, dann spenden Sie als Gegenleistung dem Verein „Herzkinder Österreich“ ein paar Euro. Vielen Dank!

Rhabarberkuchen

Frühlingshaftem Rhabarberkuchen kann niemand widerstehen. Außer die zugelaufene Katz‘ – die hält gar nichts von solchen süß-sauren Feinheiten.

Oder:

Borschtsch

Zum ersten Mal in der Geschichte des Probelokals gab es Borschtsch – eine Spezialität in der Ukraine und in Russland mit Rinderbrust und viel Roter Bete. Ganz langsam gekocht in Gedanken an die vielen Menschen in den Krisengebieten.

Oder:

Knusprige Kartoffelknödelchen

Sind es zu groß geratene Gnocchi? Oder zu klein gerollte Knödel? Oder gar zu runde Schupfnudeln? Egal, diese kleinen Knödel aus Kartoffelteig schmecken vorzüglich. In brauner Butter geschwenkt, vielleicht noch mit ein paar Speckwürfeln. Alpen-Streetfood vom Feinsten!

Rezept-Geschichten