Der einfachste Weg zum Risotto.
Alle Wege führen nach Rom, so heißt es. Außer bei der Zubereitung von Risotto. Da gibt es offenbar nur eine Wahrheit: Ständig rühren und den Reis in Etappen mit Fond aufgießen. Schon im ersten Kochbuch von Jamie Oliver habe ich gelernt, dass die Zubereitung für 30 Minuten meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit erfordert. Das bestätigten auch alle Profis, die ich seither konsultiert habe. Schon das Hinterfragen gleicht einem Frevel.
Ähnlich ist es bei der Frauenordination in der Kirche oder der Neutralität in Österreich. Punkt. Keine Diskussion. Doch manchmal geraten selbst Wahrheiten ins Wanken. Als ich unlängst vor dem Einschlafen auf Seite 248 von Roland Trettls Buch „Nachschlag“ gelandet bin, stellte sich mein Risotto-Weltbild auf den Kopf. Der Spitzenkoch pfeift auf Dogmen. So gießt er etwa gleich zu Beginn die ganze Suppe zum Reis und verzichtet aufs Rühren.
Darf man das? Und kommt diese Variante an meine Ur-Version heran? Ich habe beide Zubereitungsarten gleichzeitig ausprobiert, um meine größten Gastro-Kritiker vor die Wahl zu stellen – meine Familie.
Fragwürdiger Kürbis
Für beide Versionen bereite ich zunächst den Farb- und Geschmacksgeber dieses Herbstgerichtes zu – den Kürbis, der am Ende als Püree den Risotto veredelt und die orange Farbe verleiht. Zwar halte ich Kürbisse in der Küche für maßlos überschätzt und auf fast beängstigende Weise geschmacklos. Die Kombination aus orange und geschmacklos trifft übrigens auch auf den König im Weißen Haus zu, was die Sache nicht besser macht.
Aber der Kürbis gehört nun einmal zum Herbst wie Kastanien, Most und Indian Summer, also gibt es einmal im Jahr ein Kürbisrezept. Solange man ihm mit jeder Menge Herbstgewürzen Geschmack verleiht, lasse ich ihn ausnahmsweise durchgehen.

So heize ich den Backofen auf 200° vor, schäle das fragwürdige Gemüse, entferne gerne die Kerne und schneide ihn in 2 cm dicke Spalten. Auf einem Blech vermische ich den Kürbis mit beherzt eingesetzten Gewürzen, Salz, Pfeffer und etwas Olivenöl, dann backe ich ihn für 30 Minuten. Ein paar Spalten bewahre ich als Deko auf, den Rest püriere ich mit 100 ml der Suppe.
Dann schneide ich das Gemüse klein und erhitze den Rest der Suppe. Die Zwiebel- und Selleriewürfel sowie den gehackten Knoblauch schwitze ich in Öl an, dann kommt der Reis und eine kräftige Prise Salz dazu.

Stunde der Entscheidung
Nun entscheiden Sie, welche Variante Ihnen lieber ist: Wenn es nach Roland Trettl geht, kommt sofort die ganze heiße Suppe dazu. Der Risotto köchelt nun bei geringer Temperatur für rund 20 Minuten vor sich hin. Nicht rühren! Sie könnten sich inzwischen ein Radiohead-Album auflegen und in einem Standard-Artikel nachlesen, warum ich nicht nur die Musik, sondern auch die differenzierte politische Haltung der Band schätze.
Die britische Kult-Band ist nach mehreren Jahren Pause wieder auf Tour. Aus diesem Anlass habe ich die Alben aus dem Schrank gekramt, die ich Anfang der 0er-Jahre zeitgleich mit dem ersten Jamie-Oliver-Kochbuch kennen und schätzen habe: „Hail To The Thief“ mit dem großartigen Titel There There und das Live-Album „I Might Be Wrong“ mit dem beeindruckenden Like Spinning Plates.
Und wenn Sie den Risotto voller Muße und Rührung zubereiten möchten, wie ich es 20 Jahre lang gemacht habe, dann geben Sie die heiße Suppe nur schöpflöffelweise dazu, bis sie bei geringer Temperatur eingekocht ist. Dabei müssen Sie wirklich ständig rühren, da dieser Vorgang die Stärke aus dem Reiskorn befördert und ständig Gefahr läuft, anzubrennen. Eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Radiohead ist da natürlich nicht drinnen. Aber nach 20-30 Minuten ist auch diese Version fertig.
Am Ende gebe ich einen Schuss Säure dazu – meist Zitronensaft. Wenn keine Kinder mitessen, etwas Wermut. Dann ziehe ich das vorbereitete Kürbispüree unter und nehme den Topf vom Herd. Mit etwas kalter Butter und einem Schuss Olivenöl schmecke ich ab. Manche schwören auf Parmesan, ich nicht. Etwas Salz und Pfeffer braucht es noch, zur Dekoration auch die Kürbisspalten und ein paar Thymianzweige.

Mein Fazit
Und siehe da: Die Familie war angetan von der Trettl-Version. Mir schmeckte das mühsamere Original zwar eine Spur besser, aber das liegt bestimmt an der Gewohnheit. Seither gibt es den Trettl-Risotto abends nach der Arbeit, wenn es flott gehen muss und jede freie Minute genützt werden will.
Das Original wird zelebriert, wenn ich Zeit und Muße habe. Der Duft, das Rühren, die Ruhe – da bekommt die Risotto-Zubereitung fast eine meditative Note. Was sich bestätigt hat: Alle Wege führen nach Rom. Und manche Wahrheit darf gerne hinterfragt werden.
Zutaten:
400 g Risottoreis, 1,5 l klare Gemüsesuppe (noch besser: selbstgemachte Hühnersuppe), 1 kleine Zwiebel, 2 Stangen Sellerie, 1 Knoblauchzehe, 40 g Butter, Olivenöl, Zitronensaft, Salz, Pfeffer; 400 g Speisekürbis, etwas Zimt, Koriander und Chili, Thymian als Deko
Musiktipp:
Alben „I Might Be Wrong“ aus dem Jahr 2001 und „Hail To The Thief“ aus dem Jahr 2003 von Radiohead, Label Capitol Records






Social Menu