Wie Böhmen noch
bei Öst’reich war.

Egal, ob es im Februar stürmt oder schneit, ob Sie sich den Opernball anschauen oder einen großen Bogen um den Fasching machen: Dieser Tage gibt es immer einen Grund, in den Wiener Mehlspeis-Himmel hinein zu schmecken. Dabei geht es in Wahrheit gar nicht um die aus Böhmen stammenden Buchteln, die ich eher als Beilage betrachte – sondern vielmehr um den großen See aus Vanillesauce, in den ich mich am liebsten hinein legen würde.

„Wie Böhmen noch bei Öst‘reich war, vor finfzig Jahr, vor finfzig Jahr, hat sich mein Vater g’holt aus Brünn a echte Wienerin“ – das sang Peter Alexander im Jahr 1967. Eine echte Wienerin aus Brünn also. So wie die echten Wiener namens Prohaska, Hawlicek oder Sobotka. Mischkulanzen wie diese finden sich auch in der Küche. Den böhmischen Köchinnen sei Dank – sie brachten ihren Schatz mit nach Wien.

Wie immer schon zu Beginn ein Blick auf das Endergebnis. Da kommt Vorfreude auf.

In den Weihnachtsferien bekam ich große Lust auf Wiener Mehlspeisen. Schuld daran war ausgerechnet der Schwabe Vincent Klink, ein bodenständiger Sternekoch und Jazzmusiker, der das wunderbare Buch „Ein Bauch lustwandelt durch Wien“ geschrieben hat. Es landete unter meinem Christbaum und wurde während der Feiertage regelrecht verschlungen.

Der Kaiser grüßt ohne Unterlass
Mit launigen Worten und kritischem Blick verfasste Klink eine Liebeserklärung an Wien. Erstaunlich, was er alles weiß – über die Höhenräusche und Abgründe der österreichischen Geschichte, über Kaiserschmarren und Tafelspitz, über Persönlichkeiten wie Thomas Bernhard, Karl Kraus und André Heller.

Bei so viel Lesegenuss verschmerzt man die Omnipräsenz des Kaisers gerne. Denn Franz Josef grüßt – jössas! – gefühlt aus jeder zweiten Seite des Buches. Vielleicht regiert er in Wahrheit noch immer aus dem Hinterzimmer der Hofburg und flüstert dem Kanzler gebetsmühlenartig Überschriften wie „die Balkanroute muss geschlossen werden“ oder „das Beste aus beiden Welten“ ins Ohr.

Angespornt vom schwäbischen Küchenmeister Klink probierte ich gebackene Mäuse aus Hefeteig, warf Palatschinken in die Luft und schob flaumige Grießaufläufe in den Ofen. Doch als ich mich auf die historischen Spuren dieser herrlichen Mehlspeisen machte, landete ich in Böhmen, einem ehemaligen Königreich, das heute den Großteil der tschechischen Republik ausmacht. Der Überlieferung nach war Böhmen ein Land, in dem Milch und Honig flossen. Das glaube ich gerne.

Die Moldau sorgt für Gänsehaut
Seit ich rund um den Jahreswechsel die böhmischen Mehlspeisen rauf und runter probiert habe, summe ich immer wieder die „Moldau“ von Friedrich Smetana – ein erhebendes Stück Musik, das der tschechische Komponist im Jahr 1874 komponiert hat. Ich muss es immer wieder in beträchtlicher Lautstärke anhören, damit die volle Wucht von der Quelle bis zum Strom zur Geltung kommt. Die Töne fließen in meinen Ohren melancholisch, fett und goldig – fast wie Milch und Honig – vor sich hin.

Bis zur Karlsbrücke nach Prag. Und dort wiederum denke ich an den Gastro-Kritiker Wolfram Siebeck, der vor Jahren einmal die Gasthäuser der tschechischen Hauptstadt erkundete und angesichts des Massentourismus einen der groß- und bösartigsten Sätze hinaus schmetterte, den ich jemals im ZEIT Magazin gelesen habe:

„Prag ist mit Florenz, Venedig, Paris, Salzburg und anderen Brennpunkten des Tourismus dabei, unter einem Tsunami von Kitsch, Tand und Trödel begraben zu werden, wo schlechtes Fett die Nasen beleidigt, das Blitzgewitter der Fotohandys die Augen belästigt und die Nutzlosigkeit der Menschheit so deutlich wird, dass deren prognostiziertes Ende nur versöhnlich stimmen kann.“ Na dann!

Zur Mehlspeis‘ spielen die Schrammeln auf
Nun aber zurück ins Probelokal, wo unterdessen behagliche Wiener Kaffeehaus-Atmosphäre eingezogen ist. Während das Kamin angefeuert ist und die Filterkaffeemaschine gurgelt, habe ich das Album „I häng an meiner Weanastadt“ von Willi Resetarits und den Neuen Wiener Concert Schrammeln eingelegt – darauf befinden sich alte und neue Lieder aus Wien, die optimal zu den anstehenden Buchteln mit einer großen Schale selbst gerührter Vanillesauce passen.

Nun zu den Buchteln
Für die Buchteln verrühren Sie die leicht lauwarme Milch in einem Rührkessel mit Salz und Zucker, Ei, Eigelb, Orangen-Schale oder -Öl und zerbröckelter Hefe. Die 70 g Butter zerlassen Sie bei niedriger Temperatur, um sie sogleich unterzumischen. Dann arbeiten Sie das Mehl mit den Knethaken des Mixers wenige Minuten gut ein.

Nun wird der Teig abgedeckt. Er darf eine Stunde ruhen, um sein Volumen zu vergrößern. Danach braucht es vielleicht noch etwas Mehl, wenn Sie den Teig mit den Händen zusammen schlagen und portionsweise auf einem bemehlten Brett max. 1 cm dick ausrollen. Stechen Sie mit einem Ring – es kann auch ein Trinkglas sein – rund 5-6 cm große Scheiben aus. Darauf kommt ein halber Teelöffel Marmelade. Dann klappen Sie die Scheiben mit den Fingern zusammen.

Die Buchteln werden ausgestochen und gefüllt.

Die gut verschlossenen Teigkugeln werden nun in flüssiger Butter gewendet und nebeneinander in eine ausgebutterte Auflaufform gesetzt. Die Form wird nochmals abgedeckt und 15 Minuten gehen gelassen. Dann werden die Buchteln bei 160 Grad Umluft oder 180 Grad Ober/Unterhitze rund 25 bis 30 Minuten goldbraun gebacken. Die Buchtel-Zubereitung hat übrigens fast etwas Meditatives. Das Kneten, Ausrollen, Füllen und Zusammenschlagen des Teiges, das akkurate Einordnen in die Form – all das ist ein herrlicher Ausgleich, bei dem man Gedanken gut verarbeiten kann.

Die Vanillesauce wird heiß gerührt. Im Hintergrund warten die eng aneinander gedrückten Buchteln – sie dürfen nicht unter Klaustrophobie leiden.

Während die Buchteln im Backofen immer goldbrauner werden, wird es Zeit für die wunderbare Vanillesauce. Dazu schneiden Sie eine Vanilleschote auf, um das Mark heraus zu schaben. Die Schote und das Mark werden mit Zucker, Milch und Rahm im Topf erhitzt. Bevor die Mischung überkocht, schalten Sie den Herd aus und lassen Sie die Milchmischung einige Minuten ziehen.

Frisch aus dem Ofen – die Backform mit den Buchteln.

Dann trennen Sie die Eier. Heute braucht es nur die Eigelbe, das Eiweiß können Sie anderweitig verwenden, zumal es ein paar Tage im Kühlschrank hält. Im Rührkessen verquirlen Sie die Eigelbe. Dazu kommt nun unter Rühren die nicht mehr ganz heiße Milchmischung. In solchen Momenten wünscht man sich drei Hände! Auf dem heißem Wasserbad lassen Sie die Mischung nun unter ständigem Rühren eindicken. Vorsicht: Die Mischung darf nicht zu heiß werden, sonst gerinnt das Eigelb – deshalb sollten Sie Temperatur des Wasserbades nur langsam erhöhen, Geduld bewahren und immer wieder rühren!

Falls keine Kinder mitessen, schmecken Sie diese köstliche Sauce noch mit Inländer-Rum – der Spirituose mit dem skurrilsten Namen Österreichs – ab. Probieren Sie die Sauce: Ich könnte wetten, dass Sie mit einem Löffel nicht das Auslangen finden und gleich noch ein paar davon probieren! Das ist der Lohn für die ganze Arbeit. Und ja: Sie könnten natürlich fertige Vanillesauce kaufen. Aber die selbstgemachte schmeckt unvergleichlich. Außerdem ist es doch im Leben auch so: Abkürzungen und Vereinfachungen sind zunächst bequem, aber Umwege und Herausforderungen wirken tiefer und machen letztlich reicher…

Die Jugend fackelte nicht lange – der Fotograf kam zu spät.

Die Buchteln werden nun portioniert, mit Staubzucker bestreut und mit einer etwas überdimensionierten Portion Vanillesauce serviert. Dank der heutigen Probelokal-Kombination verfliegt übrigens jede Jahresanfangssorge – dank dieser behaglichen Kaffee-Stunde kann man sich auch getrost den Wellness-Urlaub sparen!

Zutaten:
Buchteln: 70 g Butter, 130 ml Milch, 1 Ei, 2 Eigelb, 60 g Zucker, Prise Salz, ½ Würfel frische Hefe (ca. 20 bis 25 g), 280 g Mehl, zum Aromatisieren ein paar Tropfen Bio-Orangenöl oder abgeriebene Schale einer halben Bio-Orange; nochmals 50 g Mehl zum Ausrollen des Teigs, 80 Gramm Ihrer Lieblingsmarmelade zum Füllen, nochmals 80 Gramm Butter zum Eintunken der Buchteln und Ausfetten der Form, Staubzucker zum Bestreuen
Vanillesauce: 400 ml Milch, 400 ml Rahm, 70 g Zucker, 1 Vanilleschote, 6 Eigelb, 1 Schuss Inländer-Rum

Lektüre:
„Ein Bauch lustwandelt durch Wien“ von Vincent Klink, Ullstein Verlag
Wolfram Siebecks Aufreger in Prag:
https://www.zeit.de/2007/13/Siebeck-Prag/komplettansicht

Musik:
„Sinfonie 9/Die Moldau“, dirigiert von Herbert von Karajan, Label Deutsche Grammophon
„I häng an meiner Weanastadt“ aus dem Jahr 2018 von Willi Resetarits und den Neuen Wiener Concert Schrammeln, Label Lotus Reco

Post Author: Dan

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