Es kommt wieder ein Sommer.

Es kündigt sich schon wieder an, das obligatorische Stimmungstief des Jahresanfangs. Während der Dezember dank der Vorfreude auf Weihnachten stets bestens auszuhalten ist, erscheint mir der Jänner als zähster aller Wintermonate. Gemüt und Körper wiegen schwer und erholen sich nur zögerlich von Fondue und Silvesterbowle. Außerdem liegt die warme Jahreszeit noch in weiter Ferne.

Um der Tristesse vorzubeugen oder sie im Falle ihres Eintreffens wenigstens aufzulockern, koche ich mir eine würzige Tomatensuppe. Sie bietet einen Vorgeschmack auf den Sommer und versorgt mich mit Vitaminen. Und ganz nebenbei lassen sich die Reste der Feste elegant verwerten. Etwa offenen Rotwein und Karotten, die den Sprung in den Italienischen Salat verpasst haben.

Ausnahmsweise aus der Dose
Es mag Sie wundern, dass ich Dosentomaten verwende. Schließlich setze ich mich auf dieser Seite sonst immer für frische, saisonale Lebensmittel ein. Aber mir sind all jene Tomaten lieber, die in der Sommersonne in die Dose gesteckt wurden, als die, die im Winter aus dem holländischen Gewächshaus angekarrt werden.

Außerdem besteht das Leben nun einmal aus Kompromissen. Helmut Schmidt hat einmal gesagt, dass es stets darum gehe, wünschenswerte Maximal-Anforderungen mit dem Möglichen und Erreichbaren zu balancieren. Das gilt auch in der Jänner-Küche. Und zwischendurch haben sich auch Randig und Sprossenkohl, diese Erwachsenen-Wintergemüse, eine kurze Pause verdient.

Manchmal sind Dosentomaten die bessere Wahl. Etwa im Winter.

Ran ans Gemüse
Würfeln Sie Zwiebel und Knoblauch fein, Karotten und Sellerie ruhig etwas grober. Das vereinte Gemüse wird in Olivenöl unter gelegentlichem Rühren ein paar Minuten bei mittlerer Temperatur angeschwitzt, ehe Gewürze und Zucker eingerührt werden. Dazu kommen Tomatenmark, Pfeffer und Salz. Dann erhöhen Sie die Temperatur, löschen mit Rotwein ab und lassen die fein herb duftende Mischung unter Rühren etwas einkochen.

Dazu kommen nun die Gemüsesuppe und der Inhalt der Tomaten-Dose. Wenn es zu sprudeln beginnt, schalten Sie ein paar Gänge zurück – dann darf die künftige Suppe bei geringer Temperatur eine Viertelstunde vor sich hin köcheln. Erst am Ende kommt das geräucherte Paprikapulver dazu, dann wird mit dem Stabmixer fein püriert.

Wer will, kann die Suppe nun mit Rahm und Gin verfeinern, etwas Salz und Pfeffer wird es auch noch brauchen. Ich kröne das winterliche Suppenvergnügen gerne noch mit gerösteten Brotwürfeln, scharf angebratenen Champignonscheiben oder einem Löffel Pesto. Die Suppe zählt längst zum Klassiker im Probelokal. Nicht nur an dunklen Wintertagen. Auch nach einem anstrengenden Bürotag erfreut sie Magen, Herz und Seele.

Kinder rühren gerne am Herd mit. Wie rührend!

Kramen im Musikarchiv
In den zurückliegenden Ferien fand ich endlich wieder Zeit, um mein Musikarchiv durchzuforsten. Dabei bin bei leicht angestaubten Austropop-Platten hängen geblieben. Etwa bei „Geld oder Leben“ und „Neppomuk’s Rache“ der Ersten Allgemeinen Verunsicherung. Da wurden Erinnerungen wach: Als Kind sang ich die Lieder mit frohem Herzen mit, doch die gesellschaftskritische Bedeutung der Texte von „Samurai“, „Heiße Nächte in Palermo“ oder „Burli“ erschloss sich erst Jahre später.

Einer der ersten Sänger der EAV war Gert Steinbäcker, der später mit Günter Timischl und Helmut Röhrling („Schiffkowitz“) als S.T.S. berühmt wurde. Vor Weihnachten erlebte ich Steinbäcker live bei einem denkwürdigen Konzert auf seiner Österreich-Tournee, die seine Letzte sein soll.

Es fühlte sich an, wie der Besuch bei einem alten Kumpanen, den man schon zu Zeiten kannte, als die Welt noch in Ordnung schien. Der es versteht, authentische Ohrwürmer zu schreiben. Der verlässlich auf der richtigen Seite steht, stets klare Kante gegen die politische Rechte zeigt und selbst die Coronakrise würdevoll meisterte, ohne sich in der Verschwörungsszene zu verheddern.

Wieder a Sommer
Seine Lieder strotzen vor Zuversicht und manche schmecken nach Sommer. Fast so wie die Jahresanfangs-Tomatensuppe. Eines heißt „Sunn überm Meer“, ein anderes „Es kommt wieder a Sommer“. Wenn ich zwischendurch von FM4 auf Ö2 zappe, weil ein Werbeblock anläuft oder mir die Berichterstattung über Klima-Aktivismus, Gender-Gap, Queerness oder Alltagsrassismus doch einmal zu viel wird (grundsätzlich berechtigt, aber FM4-Hörer sind ohnedies aufgeschlossen, also wären die Themen im Mainstream besser aufgehoben, aber dazu ein andermal mehr) – also, wenn ich zwischendurch im Regionalradio höre, wie Gert Steinbäcker wieder einmal das Lied „Großvater“ trällert, dann kann ich nicht anders, als aufzudrehen und lautstark mitzusingen.   

Meine Jahresanfangs-Suppe schmeckt besonders gut mit rustikalem Brot.

In den paar Minuten dieses einfachen Liedes stecken übrigens mehr Lebensweisheiten, als ein Stapel kluger Ratgeber-Bücher vermitteln kann. So mancher verkopfte Mensch könnte sich durchaus ein paar Energie-Tröpfchen oder Selbstfindungs-Stunden sparen, wenn er die Einstellungen des besungenen Großvaters beherzigen würde – ich fasse sinngemäß zusammen:

1. Das Leben besteht aus Nehmen, aber noch viel mehr aus Geben. 2. Zuerst überlegen, eine Meinung bilden und dann dazu stehen. 3. Niemals Gewalt, immer im Gespräch bleiben, vor niemandem Angst haben. 4. Aufs Geld allein kommt es nicht an. 5. Man muss nicht immer alles hören, was liebenswerte Menschen sagen. 6. Man sollte sich nicht zu wichtig nehmen.

Abrikadabri
Übrigens: Beim Konzert begrüßte Gert Steinbäcker seinen alten Musikerfreund Tom Spitzer auf der Bühne, den Gründer und Mastermind der EAV. Gemeinsam sangen sie den Klassiker „Fata Morgana“. Erstaunlich, wie textsicher ich mitsingen konnte. Und noch erstaunlicher, dass es vielen Konzertgästen genauso ging. Sie kannten übrigens nicht nur den Refrain, an dessen Ende es stets heißt „Abrakadabra, und sie war nicht mehr da“. Sondern auch die finale Variante „Abrikadabri, und furt war sie“. Ein kleiner Nebensatz für Insider? Denkste. Viele lagen richtig und mussten dabei kräftig lachen. Ach, würde man sich doch die wichtigen Dinge im Leben so leicht merken, als dieses unnütze Wissen. Doch lieber ein Kopf voller unnützem Wissen, als gar keine Ahnung. Ich wünsche Ihnen ein gutes Jahr 2023! Mein Gefühl: Es wird nochmals mühsam, aber 2024 wird gut. Bis dahin halten wir durch, oder?

Zutaten:
3 Esslöffel Olivenöl, 1 kl. Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, 1 Teelöffel Zucker, ein paar getrocknete Kräuter des letzten Sommers (zB Oregano und Rosmarin), 1 Esslöffel Tomatenmark, je 100 Gramm Karotten und Sellerie, 150 Milliliter Rotwein, 600 Milliliter Gemüsesuppe, 1 Dose Tomaten mit Saft, kräftige Prise geräuchertes Paprikapulver, 50 Milliliter Rahm, zur Krönung auf Wunsch ein Schuss Gin, gebratene Champignons, geröstete Brotwürfel oder etwas Pesto

Musiktipp:
„Alles live“ von Gert Steinbäcker aus dem Jahr 2020, Label Universal Music

Post Author: Dan

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