Unfreiwillig stille Nächte.

Dieser Advent wird anders. Gereizter, unsicherer, aber vielleicht wenigstens eine Spur ruhiger. Auch im Probelokal, denn hier ist gerade Schmalhans Küchenchef. Üppige Menüs bleiben aus, dafür gibt es eine musikalische Sternstunde, die einem unsympathischen Jahr ein versöhnliches Ende bereiten könnte.

Letztes Jahr um diese Zeit kochte ich in weihnachtlicher Vorfreude groß auf. Ich servierte im Probelokal ein Festmenü: Es gab eine knallrote Randig-Suppe, einen geschmorten Tafelspitz mit zünftigem Sprossenkohl und zur Krönung ein weißes Schokolade-Eis mit Bratapfel – darunter ging es nicht, die Kalorien wurden nicht gezählt, zum Fest sollte gevöllert werden. Wir haben es uns verdient, 2019 war schließlich mühsam, das Jahr 2020 sollte besser werden.

Sie wissen, wo wir inzwischen stehen. Im Ausnahmezustand seit März. Gereizte Menschen, überarbeitete Politiker und fehlende Konzerte. Dann weigert sich der orange Ex-Präsident auch noch, das Weiße Haus zu verlassen. Und als ob das Jahr nicht arg genug war, mussten dieser Tage auch noch Karl Dall und Diego Maradona von uns gehen – zwei unperfekte TV-Helden meiner Kindheit. Wann immer sie am Bildschirm auftauchten, sah ich gebannt zu.

Das Popcorn lässt sich auch vor dem offenen Feuer vortrefflich genießen.

Diego wird fehlen
Wegen Maradona legten wir uns 1986 den offiziellen Ball der WM zu, um damit im Garten zu zaubern. Mit dem „Azteca“ schossen wir unzählige Trainings-Tore mit der Faust, um die „Hand Gottes“ nachzuahmen. Der argentinische Strizzi war mir bis zuletzt irgendwie sympathischer als die aalglatten Ronaldos und Neymars, die aussehen wie Avatare auf der Playstation. Oder fußballspielende Nachwuchs-Bundeskanzler nach mehrstündigem Friseur-Aufenthalt. Maradona war alleine schon wegen seiner Figur und den offen zur Schau getragenen menschlichen Abgründen origineller. Man wusste wenigstens, mit wem man es zu tun hatte.

Nun – was tun nach so einem Jahr, wenn die Stimmung nach monatelangem Durchhalten nicht nur down ist, sondern langsam geradezu lockdown wird? Nicht einmal das Plündern der für den Adventskalender der Kinder vorgesehenen Schokolade half kürzlich (sorry, aber es war nötig, da die normale Süßigkeiten-Schublade bereits leer war). Irgendwas musste geschehen, um die Zeit bis zur Verinnerlichung der rettenden Botschaft am Heiligen Abend durchzustehen.

Corpus delicti delizioso: Schon vor dem Füllen der Adventskalender mussten einige Süßigkeiten – darunter dieser Baumschmuck – zur Corona-Frustbewältigung herhalten.

Das Album des Dezembers 2020
Plötzlich geschah es. Etwas, das nach den letzten Monaten niemand mehr vermutet hätte. Der Beweis, dass am Ende irgendwie doch noch alles gut werden kann. Ja, die wunderbare Band „Calexico“ kündigte an, am 4. Dezember ein Weihnachtsalbum zu veröffentlichen: „Seasonal Shift“ soll es heißen. Was für ein Glück! Dieser musikalische Lichtblick zeigt, dass die Welt noch lange nicht verloren ist.

Schon vor dem Erscheinen des Albums ist mit „Hear The Bells“ eine erste Kostprobe veröffentlicht worden, die es auch in der ansprechenden Solo-Version von Sänger Joey Burns in sich hat. Auch ein Cover des legendären „Happy XMas (War Is Over)“ von John Lennon ist auf dem Album enthalten. Wie immer bei Calexico wird es feierlich, wenn die Trompeten einsetzen.  

Die stille Zeit ist heuer ruhig
Heuer stehen die Chancen auf entschleunigte Dezember-Nächte übrigens gar nicht so schlecht. Schließlich wird uns die Stille verordnet. Das ist bitter, wenn ich an die Unternehmen und Arbeitsplätze denke, an das viele Geld, das an Internet-Lieferanten überwiesen wird und nicht im Geschäft nebenan landet. Auch die Krippenspiele und Gesänge der Schulkinder werden mir fehlen, die „Stille Nacht“ mit Chor und Bläsern.

Etwas gefrustet breche ich zu einem Abendspaziergang auf. Zu Erholungszwecken darf ich schließlich auch in Zeiten des Hausarrests um die Häuser ziehen. Damit ich mich auf die Rückkehr freuen kann, bereitete ich noch einen kleinen Advents-Snack vor. Günstig soll er sein und einfach zuzubereiten. Und die Zutaten sollen im Vorratsschrank lagern, damit ich den Supermarkt-Besuch vermeiden kann.

Punsch und Popcorn
Beim Sinnieren über Diego Maradonas Karriere erinnere ich mich wieder an die Zeit der Fußball-WM 1986 – in diesen unbeschwerten Ferien-Sommern bereiteten wir unter Mamas Aufsicht öfters Popcorn zu. Selbstgemacht schmeckte es immer besser als aus der Packung. Deshalb soll es auch heute Popcorn geben – aufgrund der Jahreszeit verzichte ich allerdings auf das Salz. Stattdessen würze ich es süß und weihnachtlich.

Der Popcorn-Mais wartet in der heißen Öl-Butter-Mischung auf das Aufspringen.

In einem breiten Topf erhitze ich bei mittlerer bis hoher Temperatur das Öl und die Butter, lasse den Mais hineinrieseln, lege den Deckel auf und warte kurz, bis die Körner aufspringen – das knallt übrigens so schön, dass es heuer gar keines Silvester-Feuerwerks bedarf! Immer wieder muss ich vorsichtig am Topf rütteln, damit nichts anbrennt. Und wenn das Poppen ein Ende findet und Ruhe im Topf einkehrt, schiebe ich ihn zur Seite und mische das warme Popcorn mit den Gewürzen.

Dazu soll es einen heißen Apfelpunsch geben, die familienfreundliche Alternative zu Glühwein. Voraussetzung für das optimale Gelingen ist die Verwendung eines direkt gepressten, naturtrüben Apfelsaftes. Ich ergatterte einen reinen Saft der Sorte Golden Delicious und fand das Verhältnis aus Süße und Säure ganz ausgezeichnet.

Im heißen Apfelsaft ziehen die Gewürze und hinterlassen einen herrlichen Geschmack.

Für den Punsch erhitze ich den Apfelsaft mit den Gewürzen und lasse die vorweihnachtliche Mischung einige Minuten ziehen. Bevor ich den Schal umbinde und von dannen ziehe, schalte ich die Herdplatte aus und decke den Topf ab. Punsch und Popcorn warten nun geduldig auf mich und bleiben warm, bis ich nach dem Spaziergang zurückkehre.

Schöne Plätze ohne Kitsch
Dann mache ich mich auf den Weg, hinaus in die nebligen Gassen der Stadt. Und merke plötzlich, dass nichts so schlecht ist, dass es nicht auch für irgendetwas gut wäre. Denn ich schlendere über die leeren Plätze und merke, wie wenig ich die Punschhütten und Plastik-Elche vermisse. Auch die fliegenden Glühweintassen oder die dröhnenden Weihnachts-Schlager aus den Lautsprechern gehen mir gar nicht ab.

In gewöhnlichen Jahren muss der alkoholgeschwängerte Trubel wohl die dröhnende Leere vieler Zeitgenossen ausfüllen. Dann musste gelten, was Karl Valentin schon wusste: „Wenn die stade Zeit vorüber ist, dann wird‘s auch wieder ruhiger“. Heuer ist es anders. Die stillste Zeit scheint wirklich ein wenig stiller zu sein, als sonst. Wenn auch unfreiwillig.

Den Apfelpunsch kann man auch aus einer Tasse mit sportpolitischen Botschaften genießen. Diego Maradona hätte das sicher gefreut.

Durchgefroren kehre ich in die warme Stube zurück, wo das knusprige Zimt-Popcorn und der noch warme Apfelpunsch und auf mich warten. Ausnahmsweise verfeinere ich das Getränk mit einem kräftigen Schuss Calvados oder österreichischem Gewürz-Rum.

Wenn dann noch das Kamin knistert und die Trompeten von Calexico einsetzen, dann sind die Sorgen des Jahres fast wie weggeblasen. Weihnachten kommt heuer gerade recht. Fast wie ein Rettungsring.

Zutaten:
Zimt-Popcorn: 2 Esslöffel Bratöl, 20 Gramm Butter, 100 Gramm Popcorn-Mais, 1 Teelöffel Zimt, 1 Päckchen Vanillezucker, 1 Esslöffel Staubzucker, abgeriebene Schale einer halben Orange

Apfelpunsch: 1 Liter direkt gepresster, naturtrüber Apfelsaft (nur kein Konzentrat!), 2 Zimtstangen, 2 Wacholderbeeren, 2 Nelken, 1 Sternanis, 2 Streifen Orangenschale, vielleicht noch ein Stück Ingwer, evtl. ein Schuss Calvados und/oder Rum

Musik:
Album „Seasonal Shift“ der Band Calexico, ab 4. Dezember im Handel, Label City Slang

Post Author: Dan

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